Thema: Der Wissensdurst ist die flüssige Form des Bildungshungers.
Ich hatte eigentlich vor, mein Duell gegen den Rt Trago mit einem fröhlichen Gedicht zu bestreiten, etwa so:
Als Hägar jüngst sein Ross bestieg
Und gegen Marburg ritt,
Da nahm er, wie er es gewohnt
Und weil Bewaffnung immer lohnt,
Schwert wie auch Ehre mit.
Auf dass kein Bube seinen Schild
Durch freches Wort beflecke.
In Marburg ist das immer drin
Drum reitet er nur selten hin,
Der brave Gyssen-Recke.
Doch dann las ich noch einmal das Duellthema "Der Wissensdurst ist die flüssige Form des Bildungshungers" und sagte zu mir: Rt Hägar, euch.. (ich spreche mich in meinen Selbstgesprächen nämlich immer spiegelgerecht an); Rt Hägar, euch hat man hier doch einiges zugemutet. Das hilflose Gestammel meines Contrapaukanten Trago zeigt doch deutlich, dass dieses Thema derart unsinnig ist, dass ein zusammenhängender, lichtvoller Vortrag nicht möglich ist.
Eigentlich ist das kein Wunder. Die Welt ist aus den Fugen, im Grossen wie im Kleinen und so gerät auch in einem Duellthema leicht einiges durcheinander. Doch ist dieses nicht eigentlich das Wesen der Welt? Gerade die Philosophie lebt ja davon, Ordnung in die Dinge zu bringen. Die großen Philosophen, von Heraklit über Kant bis hin zu Schmarrn (und natürlich Hägar) haben uns gelehrt, die Dinge in ihrem Wesen und in ihren Zusammenhängen in Ruhe zu betrachten und daraus ein in sich schlüssiges Bild der Welt und der Wirklichkeit und der Daseinsgestaltung, so wie dieses sich den Menschen erschließt, zusammenfügen.
Ein solches Deutungsmuster setzt allerdings eine klare Begriffsbildung voraus. Schon unser Ehrenschlaraffe Faust sagt: Und immer, wenn Begriffe fehlen, dann stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. (Faust, Schülerszene). Das Wort bildet den Begriff. Begriffe und Worte dürfen nicht willkürlich gesetzt werden, sie sind eindeutig zu definieren und in Zusammenhänge zu stellen. Ein solcher Zusammenhang ist zum Beispiel der einer Begriffshierarchie. Hierarchien sind für ein Gefüge notwendig, wie es uns die Schlaraffia zeigt, in der die Oberschlaraffen über dem Ritter rangieren, der über dem Junker, dieser wiederum über dem Knappen, welchem der Prüfling nachfolgt, unter dem der Pilger steht, alle zusammen hoch über der Profanei. "Eine saubere Begrifflichkeit erst erschafft uns unsere Welt." (Hägar).
Ein solches schlüssiges Bild kann aus dem Thema des Duells und seiner Begrifflichkeit nicht erstehen. Es ist an sich prosaisch und verschließt sich deshalb auch jeder lyrischen Behandlung. Die Begriffskombinationen "Wissensdurst" und "Bildungshunger" sind in sich widersprüchlich, sozusagen contradictio in adjecto, ganz abgesehen von der Ergänzung durch den Nonsensbegriff "flüssige Form". Fließen ist die Auflösung der Form, des Übergangs von Gestalt und Eigenschaften in einen ungeordneten Zustand. Beispiel: Es fließt die Rede des Fungierenden.
Betrachten wir zunächst die Begriffe: Wissen ist die Summe von Kenntnissen und Erkenntnissen, während Bildung die geistige Formung des wissenden Menschen zu einem geistigen Wesen bedeutet. Bildung ist also die Entwicklung, die höhere Form des Wissens: Ähnlich verhält sich Hunger zu Durst. Hunger ist der Zustand des Nahrungsmangels, der das Leben nicht bedroht und lange währen kann. Durst, also das Verlangen nach Flüssigkeit, ist ein essentielleres Bedürfnis, der Mangel todbringend, elementar. Man sagt auch einerseits "geistige" Getränke, verbindet aber andererseits Hunger mit Zusätzen wie "Bären-" oder "Mords-". Durst rangiert vor Hunger. Es ist bei diesen Dingen wie im Verhältnis von Traube zu Wein: aus der Grundform entsteht das höhere, vergeistigte Ding.
Das erlaubt uns die Bildung von Begriffsgruppen. "Traube, Hunger, Wissen" stehen in einer unteren Ebene. Die höhere Ebene ist "Wein, Durst, Bildung". Die willkürliche Vermischung von Begriffen aus unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen, wie Wissen mit Durst, und Hunger mit Bildung, ist unzulässig und ergibt keinen vernünftigen Sinn. Man könnte genauso gut sagen: Gyssens Hägar ist die geistige Form und Verkörperlichung von Marpurgias Trago. Das ist Nonsens. Hägar ist eine Seite der Schlaraffia, Trago eine völlig andere.
Anderseits lassen sich durch geeignete Bilder die Begriffsreihen erweitern: "Hunger, Traube, Wissen, Körperlichkeit, Trago" und "Durst, Wein, Bildung, Geistigkeit, Hägar". Das macht Sinn, da hier die begrifflichen Hierarchie-Ebenen stimmen.
Nun wird Trago möglicherweise einwenden, dass Hägar bei der Auslösung unseres Streits, der zu diesem Duell führte, gar nicht getrunken, sondern gefressen hat. Die Auflösung von scheinbaren oder wirklichen Widersprüchen ist aber eher ein dialektisches Problem. Es ist dies die Hegelsche Selbstbewegung des Begriffs, der die die Begriffe als auseinander hervorgehend und ineinander umschlagend erklärt. Die Setzung einer These (Hägar frisst) treibt aus sich selbst heraus mit innerer Notwendigkeit ihr Gegenteil hervor, die Antithese (Hägar frisst nicht, bzw. säuft), bis beide sich in einer höhern Einheit, in der Synthese aufheben (Hägar vergeistigt). Oder: Der Weltgeist (das ist wohl eher Hägar) kehrt sich um in sein Gegenteil und kehrt am Ende zu sich selbst zurück. Das ist auch die einfache Erklärung dafür, dass auch ein übertriebener Alkoholgenuss aus Trago keinen geistigen Ritter macht.
Die psychoanalytische Methode führt im übrigen zu dem gleichen Ergebnis: Hägars vergeistigter Kern sträubt sich (unbewusst) gegen das Erkanntwerden (seines Saufens) und tarnt sich durch Fressen. Oder auf Trago gemünzt: Sein heftiger Widerstand gegen diese Erklärung beweist, dass er sich ertappt fühlt und sein Unterbewusstsein treibt ihn zu der überzogenen, aber aus dieser Ursache her verständlichen Reaktion, den Handschuh zu werfen oder einen solchen Wurf zu provozieren.
Oder, um es auf eine einfache Ebene zu bringen, die auch Trago versteht: Durst ist etwas anderes als Hunger. Aber beides ist schlimm.
Bei Trago ist es einfach: Wenn er säuft, säuft er. Wenn er frisst, frisst er. Wenn er duelliert, kämpft er. Bei dem dialektischen Hägar wird es komplizierter: Wenn er säuft, durstet er. Wenn er frisst hungert er. Wenn er duelliert, versöhnt er. Wenn er gewinnt, verliert er usw.
Ich fasse zusammen: Das Duellthema ist unmöglich. Ich bedaure es sehr, dass mich die geistige Minderleistung eines Oberschlaraffen zu diesem Exkurs gezwungen hat. Er war aber, wie ich glaube, notwendig. Und so ende ich hier mit dieser Feststellung und muss darauf verzichten, den schönen Vers zu bringen, mit dem ich meinen Beitrag ausklingen lassen wollte:
Man sieht den Recken heimwärts ziehn,
Zurück zum Gyssen Reyche.
Marpurgia versinkt im Dunst,
Es war der Ritt, seufzt er, umsunst,
's ist immer doch das gleiche!

